Erstellt am: 16.05.2022 16:13
Von: Diakon Manfred Zoll, Kirche Unterwegs, Weissach im Tal


Glückskind

Weißt du wie das Glück ausschaut? Weißt du, wie es riecht? Und wie es sich anfühlt?


Das Glück ist gelb, goldgelb. Und es wächst auf der Wiese hinter unserem Haus.

In unzähligen Blüten breitet es sich aus, unaufhaltsam. Es wächst und gedeiht wie Unkraut.

Dieses goldgelbe Glück beschränkt sich aber nicht nur auf die Wiese hinter unserem Haus – oder viele andere Wiesen – nein, es breitet auch seinen wunderbaren Blütenstaub aus: Auf Tischen, Stühlen, Fensterscheiben oder Terrassen … überall dieses faszinierende Gold! Sogar auf meiner Hose, wenn ich mich unbedacht setze.

Jaja: Des einen Freud - des anderen Leid, sagt man und redet das Glück klein. Alles hat schließlich zwei Seiten. Auch das Glück? Falls das so sein sollte, dann hat die negative Seite auch morgen noch Zeit. Oder übermorgen. Vielleicht habe ich sie dann längst vergessen.

Heute jedenfalls will ich das goldene Glück genießen. Seine wunderschönen Blüten, wie sie die Wiese schmücken hinter unserem Haus.

Und ich habe kein schlechtes Gewissen dabei! Es wäre leicht und gefällig – also, es würde vielen gefallen – hier nicht übers Glück zu schreiben, sondern übers Unglück. Über Schrecken und Krieg, über Unheil, Armut, Krankheit und unendliches Leid.

Aber ich habe beschlossen, mich trotzdem an diesem gelben Glück heute zu freuen.

Denn gelb ist die Farbe Gottes. Und Gott steht für das Glück.

Ich will mich einfach an Gott freuen, alle bohrenden Gedanken auf ihn werfen. Mich mit meiner Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Sanftmut und Barmherzigkeit zu ihm ausstrecken. Und das Unglück unserer Welt nicht abwägend dagegenhalten. Nein, ich will nicht Glück gegen Unglück aufwiegen, ich setze auf Gottes Glück, das so leichtherzig unsere Wiese schmückt und dabei in Kauf nimmt, dass mancher Zeitgenosse sich darüber ärgert oder verständnislos den Kopf schüttelt. Ich setze auf Gottes Glück, das sich in meine Seele nistet und seine goldgelben Spuren hinterlässt. Das in mir die Sehnsucht weckt nach einer Glückssträhne für Menschen, die Warmherzigkeit, Gerechtigkeit und Frieden benötigen. Ich will diesen Gott gelten lassen, das Glück, das er verbreitet – wie der Hahnenfuß seinen Blütenstaub.

Das andere hat Zeit. Morgen oder übermorgen. Und vielleicht hat sich manches davon dann schon erledigt.

Auch wenn das Glück verblühen und verblassen wird - Gott bleibt, und das ist das größte Glück. Darum wird all die Sehnsucht nach dem Guten nicht ins Leere laufen, denn sie hat ein Ziel und findet Halt. So schafft es Gott, dass aus Unglücksraben echte Glückskinder werden. Und schenkt mir mit der Wiese hinterm Haus wertvolle Glücksmomente in meinem Alltag.

 

Diakon Manfred Zoll, Leiter der Kirche Unterwegs, Weissach im Tal