Erstellt am: 18.11.2017 23:16
Von: Hans-Christoph Werner

Kategorie: Veranstaltungen

„Wir sind evangelisch und können’s weiter werden“

Rege Beteiligung an Gottesdienst und Bürgerempfang zum Reformationstag - Feierlichkeiten zum 500-jährigen Jubiläum in Backnang.


Backnang. Eine Viertelstunde vor Beginn strömen die Besucher wie an Weihnachten. Das Pfingstereignis „Gottesdienst am Reformationstag“ ist angesagt. Auch an den Türen der Stiftskirche kein Stau. Schließlich hängen da keine Thesen, die erst zu lesen wären. Ein Liturgieblatt gibt erschöpfend über alle Teile des Gottesdienstes Auskunft. Der Reformator hätte vermutlich nur bemängelt, dass es nicht den Predigttext im Wortlaut enthält. Nach viel Morgennebel strömt nun die Sonne durch die Kirchenfenster. Nur wenn sich die Gottesdienstbesucher erheben und den Sonnenstrahlen den Weg nehmen, wird es im Inneren des Kirchenschiffs ein wenig dunkler. Dabei ist’s ein heller Gottesdienst. Auch musikalisch reich gestaltet. Der Posaunenchor der Gesamtkirchengemeinde, die Liedertafel und Bezirkskantor Hans-Joachim Renz an der Orgel wirken mit. An den Plätzen finden die Gottesdienstbesucher ein quadratisches Bildblatt vor. Für die Schulen war von Schuldekanin Silvia Trautwein ein Wettbewerb ausgelobt worden, etwas zum Reformationsjubiläum zu gestalten. Ina Stiehler vom Technischen Gymnasium ist die Gewinnerin. Sie hat die „4 S“, stehend für sola scriptura (allein die Schrift), sola gratia (allein die Gnade), sola fide (allein der Glaube) und solus Christus (allein Christus) ins Bild gesetzt. Die particulae exclusivae sind eine Art Grundbekenntnis der Reformation. Eine aufgeschlagene Bibel, Erwachsenenhände, die in Kinderhände ein Herz übergeben, eine brennende Kerze, drei Kreuze, umstrahlt vom Sonnenaufgang, illustrieren diese. Dekan Wilfried Braun fragt in seiner Predigt: Sind wir schon evangelisch? Die in der Reformationszeit entstandenen, später unbarmherzig verfolgten Täufergemeinden, verneinten diese Frage. Licht- und Schattenseiten der reformatorischen Bewegung führt Dekan Braun an, hebt hervor, dass der Reformator die Person Christi in den Mittelpunkt gestellt hat. In genialer Weise, so führt der Prediger an Beispielen vor, habe er die Bibel ins Deutsche übersetzt. Und beantwortet die Ausgangsfrage mit der Antwort: „Wir sind schon evangelisch und können es, Gott sei Dank, weiter werden.“
Eine ansehnliche Schar an Besuchern begibt sich nach dem Gottesdienst ins Bürgerhaus. Die Gesamtkirchengemeinde Backnang lädt zum Empfang. Das Buffett ist aufgebaut, die Stühle sind – wenn auch etwas sparsam vor allem für die Honoratioren – gestellt. Brav setzen sich die Gäste. Dann etwas Konfusion. Stärkung an dargebotenen Köstlichkeiten sollte zuerst sein. So wird’s zur akrobatischen Übung, das Weinglas, die Schüsselchen und Tellerchen, die Häppchen und Schnittchen zu halten und gleichzeitig eine Hand zum Begrüßungshandschlag frei zu haben. Ein nicht minderes Kunststück dann das Unterfangen von Moderatorin Dr.Ute Ulfert, ihres Zeichens zweite Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderats Backnang, die Gäste zu den Plätzen und zum Zuhören zu beordern. Grußworte sind angesagt, garniert vom Spiel des Klarinettenensembles der Jugendmusikschule und einer Darbietung und Ehrung der Backnanger Turmbläser.  Der Katholik Wolfgang Beck, seines Zeichens Pfarrer der Seelsorgeeinheit Backnang, redet den Christen ganz gleich welcher Konfession ins Gewissen. Er beklagt die Tötung ungeborenen Lebens, bestreitet – im Blick auf das Flüchtlingsthema – dass es illegale Menschen gebe und bedauert, dass Arbeit nur mehr als Kostenfaktor in den Bilanzen auftauche. Mutige politische Stellungnahmen der Kirchen seien gefragt. Einmal mehr stellt Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper sein rhetorisches Talent unter Beweis. Überdies ist er, was die geschichtlichen Fakten angeht, hervorragend vorbereitet. Er mahnt das mutige Eintreten für christliche Werte an. Landrat Dr. Richard Sigel unterstreicht seine Worte mit einer Lutherfigur des Künstlers Ottmar Hörl.
Es zieht sich hin, bis alle ihre lobenden Worte gereicht haben. Es geht schon auf 14 Uhr zu, als das abschließende „Nun danket alle Gott“ angestimmt wird. Ins Foyer strömend ist festzustellen, dass von den Häppchen und anderen Köstlichkeiten nichts mehr vorhanden ist. Dafür strömt der Wein in Mengen. Luther, der bekanntlich kein Kostverächter war, hätte an dieser Stelle wohl auch einen kräftigen Schluck genommen.