Erstellt am: 07.09.2015 11:00
Von: Steffen Kaltenbach, Pfarrer, Fornsbach und Kirchenkirnberg


Zeugnistag

Wertschätzung jenseits aller Notengebung


„Bevor ich mein Zeugnis bekomme, werde ich richtig krank, habe keinen Hunger mehr und würde am liebsten in einem Atombunker eingeschlossen sein.“ Die Aussage eines Schülers spricht vom Gefühl, versagt zu haben, und von körperlich spürbarer Angst. Sich verdrücken wäre eine erste Antwort. Aber alle Weltflucht hilft nicht weiter. Schließlich ist Schule auch nach den Ferien wieder der das Leben bestimmende Faktor von Kindern und Jugendlichen. Versagensängste tragen auch Eltern in sich. Das eigene Kind soll es idealerweise aufs Gymnasium schaffen, auf keinen Fall sitzenbleiben und am Ende einen ordentlichen Schulabschluss hinlegen. Davon hängt die ganze Zukunft ab. Das Scheitern ist in unseren Lebensentwürfen nicht vorgesehen, im System Schule aber sehr wohl. So durchlässig unsere Bildungswege nach oben sind, so erkennbar sind für die Erfolglosen auch Abstiegs- und Absturzwege von Anfang an eingespurt. Die Schule bildet die Arbeitswelt ab mit möglichen Chancen und Niederlagen. Ein Unterschied aber bleibt: Während im Beruf Erwachsene mit ihrer Lebenserfahrung gelernt haben, mit Krisen umzugehen, spüren Schülerinnen und Schüler das „Giftblättle“ als das den Kern der eigenen Persönlichkeit infrage stellendes „Gerichtsurteil“. Was braucht es angesichts der harten Lebenswirklichkeit? Als Kind oder Jugendlicher brauche ich Eltern, die zu mir stehen, ganz gleich, was das Zeugnis zu meiner schulischen Leistung sagt. Ich brauche die Vergewisserung, dass das Zeugnis nur einen Teil meines Menschseins beschreibt, und das in der reduzierten Form von Zahlen zwischen eins und sechs. Ich brauche Lebensgewissheit jenseits aller Notengebung. Und ich lebe von der Wertschätzung, die etwas erzählt von der Freude der Eltern über mein Leben, vom Jubel über den Erfolg im Sportverein, vom Stolz über meinen Einsatz in der SMV, der Jungschar oder für die Umwelt. Jenseits aller Leistungsbeurteilung singt der 8. Psalm vom Staunen über das Leben auch von Schülerinnen und Schülern: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Möge der Zeugnistag Zeugnis geben von der allen Leistungsdruck überstrahlenden Würde jeder Schülerin und jedes Schülers! Steffen Kaltenbach, Pfarrer, Fornsbach und Kirchenkirnberg

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