Erstellt am: 28.01.2011 15:18
Von: Pastor Reinhard Wick, Ev.-Meth. Kirche Cottenweiler


Mit getrübtem Blick

Vom Nutzen des Kathedralglases und der Wichtigkeit der Dinge...


Man nennt es Kathedralglas und es findet seine Verwendung als Fensterscheiben in Bädern und Toiletten. Es hat also zunächst nichts mit den Kirchen zu tun. Es ist ein Glas mit Schlieren und diese Schlieren verhindern einen klaren Durchblick. Man kann das, was dahinter ist, nur schemenhaft erahnen: Häuser, Bäume oder Menschen. Nur schwer wird man ausmachen können, ob jemand gegenüber auf dem Balkon steht; oder wer die Person ist, die da gerade draußen vorbei geht und noch viel weniger, wie sie gerade dreinblickt, ob fröhlich, traurig oder zornig. Dies alles wird durch das Kathedralglas verschleiert oder sollte man vielleicht besser sagen „gemildert“. Solange ich durch das Kathedralglas meine Welt wahrnehme, sind manche Dinge belanglos! Gerade dies kann heilsam und nützlich sein. Die Informationsgesellschaft fordert jeden Augenblick unsere Aufmerksamkeit. Wer sein Handy dabei hat, ist immer und überall für andere erreichbar. Die Meldungen der weltweiten Ereignisse machen keine Pause. Alles kann wichtig sein. Je genauer ich wahrnehme, desto unüberschaubarer kann es werden. Wen wundert es, dass sich so viele überfordert fühlen und ausgebrannt sind im Beruflichen oder im Privaten. Wir sind überflutet mit Angeboten und Anforderungen. Und je mehr wir dem ausgesetzt sind, desto zerstreuter werden wir und desto weniger kommen wir zu uns selbst. Hier kann das Kathedralglas helfen. Es zeigt uns, dass nicht immer alles gleich wichtig ist. Es schafft uns einen Raum, in dem wir davon verschont sind, uns mit der Außenwelt zu befassen. Doch was könnte es helfen oder nützen, wenn wir uns einfach abschotten und Verkriechen. Es würde einen nur weltfremd machen. Eine Auszeit alleine ist daher keine Lösung. Aber der veränderte Blick kann helfen, neu zu klären, was wichtig sein soll, sich zu sammeln und zu besinnen, auf das, was hält und trägt. Sollten Sie demnächst an einer offenen Kirche vorbei kommen, probieren Sie es doch einfach aus, wie es ist, für eine Zeit die Welt draußen zu lassen. Pastor Reinhard Wick, Evang.-Methodistische Kirche, Cottenweiler

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